15. Mai 2024. Nächstes Jahr wird der österreichische Staatsvertrag und damit Österreichs Neutralität und Freiheit den 70-er feiern. Neutralität wird heutzutage oft gerne infrage gestellt, also feiere ich schon einmal den 69-er und liefere hier ein paar Details aus meiner Sicht: 

 

Nachdem 1954 die Ost-West-Außenministerkonferenz in Berlin zwar scheiterte, aber Österreich als neue politische Option anbot, frei von militärischen Bündnissen bleiben zu wollen, wurde die Neutralität Voraussetzung für den Staatsvertrag: Die Sowjetunion sah darin die Garantie, dass Österreich nicht – wie die Bundesrepublik – der NATO beitreten würde. Für die westlichen Alliierten wiederum zählte, dass Österreich die bereits vollzogene wirtschaftliche und politische Westintegration fortsetzte. 

 

Ein Besuch der österreichischen Delegation in Moskau brachte am 15. April 1955 den Durchbruch: Im "Moskauer Memorandum" verpflichtete sich Österreich nicht nur zur Neutralität, sondern akzeptierte auch Reparationsforderungen der Sowjetunion. Anfang Mai 1955 wurde der Text für den Staatsvertrag auf einer Botschafterkonferenz der vier Mächte und Österreichs in Wien fixiert. 

 

 

Am Rande sei daran erinnert, dass aus Anlass des Vertragsabschlusses damals folgende Karikatur von Hanns Erich Köhler im „Simplicissimus“ erschien: das Bild zeigt Außenminister Leopold Figl, der den Zither spielenden Bundeskanzler Julius Raab ins Ohr flüstert: „Und jetzt Raab – jetzt noch d’ Reblaus, dann sans waach!“ Auf der Vorderseite des Tisches Außenminister Molotow bereits in Tränen aufgelöst... 

„… Diese Selbstverzwergung…, deren Kern der Opfermythos bildete, war die Folie, vor der sich der Kampf um einen österreichischen Staatsvertrag abspielte. Die Darstellung wirkte nach innen und außen: Nach innen wurde verdrängt, nach außen verharmlost. Dabei war das Ringen um einen Staatsvertrag ein langer und dorniger Weg an diplomatischen Verhandlungen…“ (Zitat Kleine Zeitung, Helmut Konrad, 16.05.2020)

 

Bevor der Staatsvertrag am 15. Mai 1955 unterzeichnet wurde, kam es jedoch zu einer folgenreichen Veränderung des Textes: Ursprünglich enthielt die Präambel – entsprechend der Moskauer Deklaration von 1943 – einen Hinweis auf die Mitverantwortung Österreichs am Zweiten Weltkrieg. Doch dem österreichischen Außenminister Figl gelang es unmittelbar vor dem Abschluss des Staatsvertrages, die Alliierten zur Streichung dieses Passus zu bewegen. Sein Argument: Die sogenannte Verantwortlichkeitsklausel sei ein "Schuldmal", das die "innere und äußere Entwicklung" des jungen Staates "mit einer moralischen Hypothek" belaste. In der Präambel des Staatsvertrages ist schließlich nur noch von der gewaltsamen Annektierung Österreichs durch Hitler-Deutschland die Rede. Dies erleichterte es Österreich, einseitig den Opferstatus einzunehmen und die eigene Verantwortung unter Verweis auf eine alleinige Schuld Deutschlands abzuwehren. 

 

Dieses Verständnis bestimmte vier Jahrzehnte lang den Umgang Österreichs mit seiner NS Vergangenheit. Erst 1986 wurde die „Opferthese“ mit der Aufdeckung der Kriegsvergangenheit des ehemaligen UN-Generalsekretärs und damaligen österreichischen Präsidentschaftskandidaten öffentlich in Frage gestellt. 

 

Nach der Ratifizierung durch Österreich, die Sowjetunion, die USA, Großbritannien und Frankreich trat der Staatsvertrag am 27. Juli 1955 in Kraft – Österreich erhielt damit rechtlich seine Souveränität. Die alliierten Truppen mussten innerhalb von 90 Tagen – bis zum 25. Oktober 1955 – abziehen. 

 

Einen Tag später, am 26. Oktober 1955, beschloss der Nationalrat das Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs. In meiner Kindheit und Jugend wurde dieser Tag als „Tag der Fahne“ gefeiert, heute als österreichischer Nationalfeiertag. 

 

MÖGE NICHT ÜBERSEHEN WERDEN, dass Österreichs Freiheit (damals wie heute) trotz aller Fragwürdigkeit wesentlich mit seinem Bekenntnis zur Neutralität verbunden ist,   

- dass eine Schweiz im WK II mit ihrer Neutralität sehr gut zurecht kam, 

- und dass Schweden wie Finnland sich für die heutige Aufgabe ihrer Neutralität erst einmal wegen ihrer geografischen Nähe zu Russland entschieden haben. 

- Im europäischen Verbund denke ich daran, dass Österreich gut beraten wäre sich auf humanitäre und Katastrophenhilfe sowie internationale Diplomatie zu spezialisieren. 

 

Angesichts der jüngst beschlossenen zu verstärkenden Bewaffnung Österreichs (2% des BIP, 8 Milliarden €!) halte ich das 1955 verfasste Manifest von Hans Carl Artmann und Ernst Jandl wieder für sehr aktuell, hier im Zusammenhang zitiert: 

„es ist eine unverschämtheit sondergleichen… zinnsoldaten und inidianerfilme als unmoralisch zu deklarieren, um im ersten luftzug der so genannten endgültigen freiheit die kaum schulentwachsene jugend hinter die dreckflinten zu pressen! das ist atavismus! das ist neanderthal! das ist vorbereitung zum legalisierten menschenfressertum! … laßt euch nicht durch radetzky-deutschmeister und kaiserjägermarsch von senilgewordenen bürokratengehirnen aug und ohr auswischen - pfeift auf den lorbeer und lasst ihn den linsen!!! denkt daran welche ehre es für österreich bedeuten würde, bliebe es wie bisher der einzige staat in der welt, der diese schildbürgerintentionen anderen überlässt… lasst uns die milliarden für kultur und zivilisation verwenden! … ein österreich, das nach wiederbewaffnung schreit, ist mit dem quakfrosch zu vergleichen, der mit bruchband und dextropur versehen einen antiken dragonersäbel erheben wollte…“