Corona-Krise und darstellende Kunst in Österreich:

ein Theater mit dem Theater

 

Die Krise zeigt auf, was in der gesamten Branche seit langem bekannt ist. KUNST UND KULTUR IN ÖSTERREICH NEU DENKEN und umsetzen, aus Fehlern zu lernen tut Not: immerhin hat Kunst und Kultur in Österreich dem Land international zu großem Ansehen verholfen, erfüllt unsere Herzen, ist ein unentbehrlicher Spiegel unserer Lebensweise ebenso wie ein unerlässlicher Wirtschaftsfaktor auch für viele andere Bereiche. Doch fast die gesamte österr. Kunstszene war z.B. nicht in der Lage, Reserven aufzubauen. Die massiven Missstände in der gesamten Branche, die sich über viele Jahre ausgebreitet haben, müssen jetzt durchforstet und aufgezeigt und aus dem Gelernten Konsequenzen gezogen werden. Das ist bei einigem politischen Willen möglich, auch wenn man als Kunstschaffender das Gefühl haben muss, oft irgendwo an letzter Stelle gerade noch Erwähnung zu finden.

Im österreichischen Kunst- und Kulturbereich sind insgesamt wenigstens 140.000 Kunstschaffende tätig, im TV wurden sogar 180.000 kolportiert. Allein die so gen. Freie Szene der darstellenden Kunst in Wien umfasst derzeit mindestens ca. 10.000 Künstler_innen, welche altersgemäß eine ganze Generation zwischen 25 bis 70 Jahren umspannen. Der durchschnittliche Brutto-Jahresumsatz einer/s Künstler_in beträgt zwischen 15.000 - 24.000 Euro und entspricht in etwa der Hälfte der jährlich anfallenden Kosten eines durchschnittlichen Angestelltenverhältnisses in Österreich.

Das Update der Studie zur sozialen Lage der Künstler_innen 2018 zeigte auch, dass sich die prekäre Situation von frei beruflichen Künstler_innen im vergangenen Jahrzehnt wenig verändert hat. In Wirklichkeit sehen wir aus der Praxis, dass diese Schieflage seit bereits 25 Jahren besteht. Weder das KSVFG noch die Renovierung des TAG konnten wesentliche Verbesserungen in der Freien Theater-Szene hervorrufen. Lohngerechtigkeit und soziale Absicherung von professionell arbeitenden Künstler_innen muss, sofern eine Förderung durch die öffentliche Hand erfolgt, gewährleistet sein. Das betrifft das durchschnittliche Jahreseinkommen einer/s einzelnen Künstler_in, das Familieneinkommen sowie die Absicherung in der Pension. Eine Vollzeitbeschäftigung in der freien Szene ist nicht möglich.

Insgesamt ist Kunst und Kultur notwendige Nahrung für eine Gesellschaft, welche nicht abstumpfen und verrohen möchte; das gilt für alle, vor allem aber für intakte demokratische Gesellschaften. Insbesondere für Österreich ist sie eine Basis und auch wirtschaftliche Wertschöpferin, wie wir wissen. Kunstarbeit jeden Genres versteht sich zudem als unerlässlicher Beitrag zur Bildung und Menschwerdung. Ohne den gesunden Nährboden einer breiten Basis gibt es keine gesunde Hochkultur. Mit der arbeits- und sozialrechtlichen Diskriminierung freier Künstler_innen muss Schluss sein: auch frei berufliche Künstler_innen haben Recht auf gerechten Lohn und Versicherung.

 

Gerechte Arbeitsbedingungen, reguläre Dienstverhältnisse, gerechte Verteilung von Fördermitteln

Freiberufliche Künstler/innen der Basiskultur liefern wertvolle Basis legende Kulturarbeit, arbeiten ebenso hart wie andere Menschen und dürfen nicht als Randerscheinung behandelt werden. Wir fordern Kollektivverträge im Freien Bühnen- und Filmbereich mit realistischen, fairen Einstiegsgagen bei gesetzeskonformen Dienst- und Versicherungsverhältnissen sowie menschenwürdigen Arbeitsbedingungen, weiters die Aufstockung und gerechte Verteilung von Subventionen für alle Bühnen aus allen Bereichen und eine erhebliche Aufstockung der Filmförderung. Dazu muss der Bund eine reale Basis legen. Förderungen müssen die Einhaltung von arbeitsrechtlichen Bestimmungen ermöglichen. Für alle Beschäftigungsverhältnisse im darstellenden Bereich muss Rechtssicherheit gelten.


Wir brauchen arbeits- und sozialrechtlich gerechte Verteilung von Fördermitteln.
Förderungspolitik ist zwar kein Wunschkonzert, aber es ist untragbar, dass Kunstarbeiter_innen während ihrer Arbeit von AL-Geld, Notstandshilfe (wenn überhaupt Anwartschaft vorhanden) oder „Bedarfs orientierter Mindestsicherung“ leben sollen.
Fördermittel müssen zumindest an Einstiegs- oder Mindestgagen und verpflichtende Sozialversicherungsverhältnisse gebunden sein. Das wird in einem künftigen KV für die Freie dramatische Szene unbedingt zu berücksichtigen sein.
Fördermittel der öffentlichen Hand dürfen nur unter ethisch vertretbaren Standards und müssen gagengebunden vergeben werden, deshalb

 

Schluss mit dem Kaputtsparen, Schluss mit der Scheinselbständigkeit

Die Einkommen freiberuflicher Künstler/innen liegen seit 20 Jahren im Dumpingbereich. Weder das KSVFG noch die Renovierung des Schauspielergesetzes in ein Theaterarbeitsgesetz konnten die prekären Zustände verbessern. Künstler/innen werden nach wie vor in Arbeitsverhältnisse engagiert, die sich in gesetzlichen Graubereichen bewegen, welche sie, um zu überleben, anzunehmen gezwungen sind. Auch im Filmgeschäft und TV-Geschäft steigt das Dumpingniveau. Von „Filmwirtschaft“, die ihren Namen auch verdient (75 Mio. € auf alle Töpfe aufgeteilt), kann in Österreich nach wie vor nicht die Rede sein. Das österreichische Kulturbudget: ein seit Jahrzehnten ungeliebtes, am Rande dahin vegetierendes vernachlässigtes Kind. Es belief sich 1995 noch auf 0,98 % des BIP; 2018 auf 0,48% des BIP (386 Mrd. €). Tatsächlich belief sich die Förderung des Bundes 2018 für alle Kunst- und Kultursparten lediglich auf 456 Mio., d.h. 0,12% d. BIP (BMF, Statistik Austria). Die Aufstockung des gesamten Kunst- und Kulturbudgets auf wenigstens 1% d. BIP ist angesichts dessen, was dieser Bereich für Österreich an Wertschöpfung leistet und bringt (7 Mrd. € alleine die Kunstszene, 15,3 % des BIP die gesamte Freizeitwirtschaft – Statistik Austria), und welches Ansehen er dem Staat bringt, eine längst überfällige und not-wenige Forderung! Für Wien fordern wir ebenso wie Kulturstadträtin Veronica Kaup – Hasler eine Aufstockung des Kunst-/Kulturbudgets von 1,68 % auf mindestens 2 % des bisherigen Budgets, damit z.B. das Theaterarbeitsgesetz (TAG) auf allen Bühnen praktisch Anwendung finden kann!

 

Renovierung des Künstler/innen-Sozialversicherungsfondsgesetzes (KSVFG) in ein KSVG

Wir fordern ein echtes KSVG bzw. eine Sozialversicherung, die zu den zeitgenössischen Erwerbsrealitäten passt und auch das Zusammenspiel von unselbständiger und selbständiger Tätigkeit mit Phasen der Erwerbslosigkeit berücksichtigt.

Zumindest aber fordern wir die überfälligen Weiterverhandlungen über eine Novelle des Gesetzes, die sicherstellt, dass Künstler/innen wirklich sozial abgesichert sind:
* der jährliche Zuschuss muss allen SVA-pflichtversicherten selbständigen Kunstschaffenden zustehen
* Erweiterung der Definition von Künstler/in um „Interpretation“ und „Lehrtätigkeit“. Künstler_innen mit nachweislichem Berufsabschluss oder nachweislich langjähriger Berufserfahrung müssen auch ohne Kurienbewertung als Künstler_innen anerkannt werden.
* Reform der KSVFG-Meldepflicht
* Streichung der Mindesteinkommensgrenze aus künstlerischer Tätigkeit als Anspruchsvoraussetzung für einen Zuschuss aus dem KSVF
* Keine rückwirkenden Einflüsse bei Nichterreichen der Mindesteinkommensgrenze
* Ein KSVG muss ähnlich wie das Modell der deutschen Bayerischen Künstlerkasse die Möglichkeit zur Pensionsversicherung beinhalten (dort bei monatl. Beitrag von € 40.- möglich).

 

Verbindliche Rechtskunde an allen Schauspielschulen

Nach dem Abschluss ihrer Ausbildung werden junge Schauspieler/innen auf den freien Markt geworfen meist unwissend, was arbeits- und sozialrechtlich auf sie zukommt, und dass die überwiegende Mehrheit von ihnen oft unter prekären Umständen arbeitet. Noch immer wird nicht an allen Schauspielschulen Arbeits- und Sozialrecht unterrichtet. Wir fordern diesen Unterricht ausnahmslos an alle Schulen mit Öffentlichkeitsrecht ein und an solchen, die ihre Schüler/innen zur Paritätischen Prüfungskommission entsenden. Zudem fordern wir zur Wahrung der Unterrichtsqualität eine regelmäßige Entsendung von Mitgliedern der Prüfungskommission an die Schulen.

 

Der Berufstitel Schauspieler_in

Die Arbeit in der darstellenden Kunst versteht sich wie in anderen Künsten auch als Kunstarbeit mit körperlichen und geistigen Fähigkeiten gepaart mit einer gehörigen Portion an Empathie und Leidenschaft. Talent ist nur eine Voraussetzung. Oft verstehen sich Kolleg_innen als Kunstarbeiter_innen oder sprechen von sich als Handwerker_innen. Um im Handwerksberuf zu bestehen, besuchen Menschen zuerst eine Lehre, werden Gesellen und schließlich erhalten sie einen Meisterbrief. Im Schauspielberuf verhält sich das ähnlich. Regulärer Weise besucht man eine Schauspielschule, absolviert Kontrollprüfungen und erwirbt schließlich die Bühnenreife, um Schauspieler_in zu sein. Es sollte sich nicht jede/r, die / der in einigen Theaterproduktionen oder Filmen mitgewirkt hat, als Schauspieler_in bezeichnen dürfen. Schauspieler_in ist keine Freizeit- oder Ehrenbezeichnung sondern ein Berufstitel. Der Unterschied zwischen „Schauspieler_in“ mit paritätischer Bühnenreife oder langjähriger Berufserfahrung und Amateuren bzw. Darsteller_innen ohne nachweisliche berufliche Qualifikation sollte sich außerdem im Gagenbereich wiederfinden.

 

Anwartschaft auf Arbeitslosengeld

Wie seit Jahrzehnten bekannt doch bisher ignoriert ist eines der Hauptprobleme beim Versicherungsschutz von Künstler_innen der Erwerb von Versicherungszeiten. Engagements gehen nicht nahtlos ineinander über, die Arbeitszeit von Zusatzleistungen wird nicht anerkannt, weil sie schwer zu bemessen ist, Zusatzleistungen finden oft nicht am Theater bzw. an der direkten Arbeitsstätte statt sondern außerhalb oder im privaten Umfeld und in Zeiten, während Künstler_innen nicht offiziell vertragsgebunden sind. Andererseits erwerben Künstler_innen in kurzer Zeit oft relativ hohe Gagen und zahlen dafür hohe SV-Abgaben.
Wenn man Kunst daher neu denken möchte, darf eine ernsthafte Auseinandersetzung darüber, wie gerade bei Künstler_innen Versicherungsgerechtigkeit hergestellt werden kann, nicht ausbleiben. Es muss möglich sein, berufsbedingte Zusatzleistungen an SV-Zeiten anzurechnen (wie der kommende KV-Filmschauspiel es vorsieht) und ein Erwerb von Anwartschaft auf Arbeitslosengeld durch hohe Beitragsleistungen während kurzer Beschäftigungszeiten.

 

Ausbau des Team 4 Künstler_innenservice des AMS

Erforderlich sind berufsadäquate Aufnahmebestimmungen, Weiterbildungsmöglichkeiten und Ziel führende Regulierungen zum zeitlich unbegrenzten Verbleib. Daher fordern wir seit vielen Jahren eine Anpassung der Betreuungsrichtlinien des AMS Team 4 Künstler_innenservice für arbeitslose Künstler_innen.
Derzeit können vom Team 4 nur Künstler/innen in Wien betreut werden. Wir fordern seit Jahren österreichweite Betreuung!
Professionelle Künstler_innen sind ihr eigenes Instrument, das ständiger Wartung bedarf. Deshalb fordern wir eine andere Form von Berufsschutz, als er heute am AMS existiert.

 

Beibehaltung der Notstandshilfe

Die Notstandshilfe ist ein langjähriges Erfolgsmodell des ALVG und wird aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung finanziert. NH-Empfänger/innen bleiben im Gegensatz zu Mindestsicherungsbezieher/innen (außer pensionsversichert) voll versichert. Gerade dieser Umstand hat bisher zehntausenden atypisch Beschäftigten geholfen, nicht ins Prekariat abzurutschen. Sollten diese künftig nur noch mindestgesichert werden, würde man nicht nur auf ihre letzten Privatreserven zugreifen, sie wären auch nicht mehr arbeitslosen- und schon gar nicht pensionsversichert. Die dadurch zusätzlich anfallenden Aufwendungen für Mindestsicherung und daraus folgenden Mindestpensionen plus Ausgleichszulagen werden zudem nicht aus SV-Beiträgen sondern aus Steuermitteln finanziert, wodurch eine dauerhafte wesentliche Mehrbelastung der Steuerzahler entsteht, welche etwa durch SV-Beitrags-Entlastungspolitik nicht zu rechtfertigen ist! Auch fordern wir zur vollständigen Absicherung von Künstler_innen die Wiedereinführung der Pensionsversicherung in die NH.

 

Steuererleichterungen, Absetzbarkeit

Der Shutdown hat gezeigt, dass Kunst und Kultur ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor ist, der an die Wertschöpfung der Landwirtschaft oder der Automobilindustrie heranreicht. Fällt der Kulturtourismus weg, leiden folglich auch andere Branchen wie Gaststätten, die Hotellerie und Reisebranche. Es gibt Länder, welche ihre Künstler auf eine Weise schätzen, sodass diese keine Steuern zu entrichten haben. Es ist an der Zeit anzuerkennen, dass das Kunstschaffen in Österreich dem Staat international weltweit großes Ansehen gebracht hat und bringt, was sich auch wirtschaftlich für die Künstler_innen zu Buche schlagen darf. Wir schlagen vor, über eine allgemeine Künstler_innensteuer zu sprechen, wie es etwa bei der Mehrwertsteuer der Fall war. Außerdem muss anerkannt werden, dass Schauspieler_innen genauso die Absetzbarkeit von Arbeitsräumen benötigen wie Sänger_innen oder Musiker_innen.

 

Das wöchentliche Theaterstück im ORF

ORF-Gebühren sind zur Erhaltung eines von der Marktwirtschaft unabhängigen ORF erforderlich. Im Gegenzug dazu ist der ORF bemüht, den ihm von der öffentlichen Hand auferlegten Bildungsauftrag zu erfüllen. Wir fordern das wöchentliche Theaterstück aus dem Bundestheater-, Wiener Bühnen-, Länderbühnen- und freien Theaterbereich auf ORF III. Dabei ist auf eine Ausgewogenheit zwischen Großbühnen und Freien Theatern zu achten, idealerweise in einem Verhältnis, das mit der Sektion Bühne der YOUNION abgesprochen wird. Klassische Musik hat ihren Platz auf ORF III. Aber es kann nicht sein, dass Neue Musik und der gesamte Sprechtheaterbereich auf ORF III nahezu ausgeklammert und vor allem die große Gruppe der Sprechtheaterkultur weiterhin vom ORF übersehen wird. Generell fordern wir die Einbindung aller Kunstsparten in den Bildungsbereich. Die tägliche Verfügbarkeit des Theaters in der unmittelbaren Umgebung muss für die österreichische Bevölkerung medial ins Bewusstsein gerückt werden!

 

Kunstarbeit ist Bildungsarbeit

Menschen, die sich von Kindheit oder Jugend an künstlerisch betätigen, ein Musikinstrument erlernen oder sich mit Tanz, Gesang, Literatur oder Malerei beschäftigen, heben nachweislich das Intelligenzniveau. Fließend lesen, schreiben und rechnen zu lernen ist eine selbstverständliche Notwendigkeit; zur Menschwerdung gehört aber auch die regelmäßige Auseinandersetzung mit den Künsten. Eine kulturell anspruchsvolle Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Talente ihre Kinder in jeder Hinsicht fördert. Wir fordern die generelle Einbindung aller Kunstsparten in den Bildungsbereich ein.

 

Anmerkung:

Die hier aufgezeigten Gedanken sind meine eigenen. Ich bin FG-Vorsitzender „Frei berufliche Schauspieler_innen und Sprecher_innen“ in der Sektion Bühne, HG VIII, YOUNION. Die meisten meiner Forderungen decken sich mit denen der Gewerkschaft, einige wenige davon stehen zur Diskussion.

Die AK bietet arbeits- und vertragsrechtliche Unterstützung für ihre Mitglieder an und die Gewerkschaft für ihre Mitglieder Rechtsberatung.
https://wien.arbeiterkammer.at/kontakt 
https://www.younion.at/cms/C01/C01_5.2.8/das-sind-wir/wiener-hauptgruppen/hauptgruppe-viii?d=Touch 
Auch die IG Freie Theaterarbeit bietet lobenswerter Weise für Mitglieder (und Nichtmitglieder gegen Kostenbeitrag) kompetente arbeits- und vertragsrechtliche Unterstützung an:
https://freietheater.at/covid-19-help/help/ 

 

Wien, 21. Mai 2020,

Erwin Leder